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Die Besucher

Vorwort

Vorbemerkung des Autors: Eine Korrektur der Aktenlage

Verehrte Leser,

ich muss Abbitte leisten. Die Geschichte, die ich Ihnen ursprünglich in Band 1 der Doppelkurve unter dem Titel «Die Reisenden» präsentierte – jene harmlose Anekdote über ein Wohnmobil, ein Knöllchen und eine geglückte Flucht vor dem bürokratischen Wahnsinn –, war nicht korrekt. Oder besser gesagt: Ein naiver Schutzmechanismus meines Verstandes. Ich wollte glauben, dass man einfach davonfahren kann.

Doch die Realität – oder das, was in uralten Gemäuern als solche durchgeht – duldet keine Lücken im Protokoll.

Heute Morgen lag ein Umschlag auf meiner Türschwelle. Kein Poststempel, kein Absender. Das Papier roch schwach nach kaltem Kaminrauch und feuchtem Sandstein. Der Inhalt? Eine Kopie des Formblatts A-17, gegengezeichnet mit einer zittrigen Unterschrift, und ein USB-Stick, der klebrig war, als hätte man ihn in Pech getaucht.

Ich habe die Daten gesichtet. Ich habe mich geirrt. Sie sind nicht weggefahren. Die Burg lässt niemanden so einfach gehen, der einmal das Kleingedruckte gelesen hat. Vergessen Sie die erste Version. Verbrennen Sie sie gedanklich. Was nun folgt, ist die einzige Wahrheit. Dies ist das Protokoll dessen, was wirklich geschah.

Die Burg

Er erreichte die letzte Stufe keuchend, zog seine Frau hinter sich her und rief: «Zehn Minuten bis zur Führung – wir sind noch im Zeitplan!»

Sie schwieg nur. Ihr Blick auf die Burg sagte alles. Die Anfahrt war wieder eines dieser Abenteuer gewesen, auf die sie gut hätte verzichten können: Serpentinen, eng wie Nadelöhre, und ein Parkplatz am Tor, so passend wie ein Elefant in einer Telefonzelle. Also zurück ins Tal. Dort fanden sie endlich eine Lücke – groß, leer, perfekt. Bis auf den Automaten, der nur Münzen fraß. Ihr Kleingeld reichte auf die Minute genau für die Führung. Die Kaffeepause war gestrichen.

Über ihnen thronte die Burg, wie aus dem Bilderbuch geschnitten: spitzer Bergfried, bleiverglaste Fenster, eine Zugbrücke.

An der Kasse der erste Dämpfer. Statt Geschichte gab es Staubfänger: Plastikschwerter, Kitsch-Tassen und ganze Legionen kleiner Burgmodelle.

«Wer kauft so was?», brummte er.

Sie stieß ihn sanft an und deutete auf ein Schild: Verlosung zur Sanierung der Burg. Er runzelte die Stirn, doch sie lächelte bereits und kritzelte ihre Namen auf die Teilnahmekarte.

Dann trat sie auf: die Burgführerin.

Schritt eines Feldwebels, Stimme wie ein Presslufthammer. Jahreszahlen, Namen und Todesfälle prasselten im Stakkato auf die Gruppe nieder. Die Kinder flüchteten gedanklich zum Spielplatz, die Alten schnappten nach Luft, er schielte zum Ausgang.

Vor dem Torturm stoppte die Führerin abrupt. «Na, Herrschaften – Holzauge sei wachsam!» Sie deutete auf winzige Löcher im Mauerwerk. «Hier lugte man hinaus – und goss heißes Pech. Wer unten stand, hatte eben: Pech gehabt.»

Ein pflichtschuldiges Raunen, dann schon der nächste Marschbefehl.

In der Halle ging es weiter: «Bauherr, Breite, Höhe, Baujahr!» Und sofort das nächste Sprichwort: «Sie sehen den Tisch? Früher wurden die Platten nach dem Essen abgenommen. Heute heben wir die Tafel noch immer auf – nur ohne Böcke und Bretter.»

Ein Besucher wollte mit Wissen glänzen: «Und wenn’s schneller gehen sollte, legte man wohl in der Küche einen Zahn zu?»

Sie drehte sich auf dem Absatz um, die Augen blitzten. «Ach, Sie meinen die Zahnrasten im Automobil? Netter Versuch. Nur – ein Auto stand hier nie in der Burg.» Der vorlaute Possenreißer schrumpfte zusammen wie ein missratenes Soufflé.

Es folgten Schlafzimmer – modern für den letzten Burgwächter hergerichtet –, Aussicht und eine Geheimtür. «Der alte Graf verschwand hier einst spurlos. Seither streiten wir ums Eigentum. Aber keine Sorge: Die Burg gehört unserer Kommune!» Dann das Bad: Ausbaden. Das Baldachinzimmer: Auf die hohe Kante legen. Das Publikum nickte matt, während die Kinder im Stehen einschliefen.

Zum Finale zog sie ein verziertes Gefäß hervor. «Die Verlosung des Hauptpreises: Ein Stück Burggeschichte!»

Ein Kind griff hinein, zog eine Kapsel. «Blau12!»

Sie hielten das Los. Er erstarrte. Sie lächelte unsicher. Die Führerin nickte streng.

«Herzlichen Glückwunsch. Sie sind die neuen Besitzer.»

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  1. Ausgabe, Veröffentlicht: 30.11.2025