Die Klimaanlage summte wie ein höflicher Kühlschrank. Aus dem Radio quoll ‹die besten Hits aus allen Jahrzehnten› — jenes elastische Versprechen, das offenbar auch die Steinzeit abdeckt. Der Moderator versprach Entspannung und kündigte das Super-Duper-Morgen-Quiz an. Sie seufzte, schaltete auf Klassik und prüfte die Reichweite. Zur nächsten Ladesäule war es noch ewig. «Passt doch», murmelte sie. «Ich wüsste gern, was die Heinis am Elektroauto so aufregt — außer, dass es keine Ausrede mehr für pappigeTankstellencroissants gibt.»
Lenkradtaster. «Susi, ruf das Büro an.» — «Hallo! Bist du unterwegs?», säuselte die Vorzimmerstimme, die immer klang, als trüge sie eine Strickjacke aus Fürsorge. «Beruhig dich», sagte die Fahrerin. «Planmäßig unterwegs. Ist der große Besprechungsraum fertig?» — Alles vorbereitet, Ankunft planmäßig. «Bleib locker», setzte sie an — da sprang ein gelbes Schild aus dem Gebüsch des Schicksals: UMLEITUNG. «Ernsthaft? Heute?» — «Sieh zu, dass du da schnell durchkommst», piepste es panisch. «Wir müssen noch ein paar Punkte klären, bevor der Kunde kommt.»
Verbindung weg. Also folgte sie dem offiziellen Tanz der gelben Pfeile. Erst Wartegemeinschaft am Zebrastreifen (eine gebrechliche Dame mit Weltbürgerschritt), dann Linksabbiegen in einen Strom aus Blech und Lebensplänen. Ein Radfahrer pflügte frech durch die Lücke, die Sensoren bremsten — hinter ihr ein Hupkonzert, dissonant, eindeutig Cis-Dur auf Straßenpflaster. Ein Lkw-Fahrer erbarmte sich, hob den imaginären Taktstock und ließ sie einfädeln.
«Bitte wenden», säuselte es plötzlich aus dem Armaturenbrett. «Hä?» — «Susi, Navigation aus.» — «Das automatische Umleitungssystem ist aktiv», dozierte die freundliche Maschine, die klang wie eine Yogalehrerin mit Stau-Fetisch. «Susi, aus!» — «Du kannst den Umfahrungsdienst in den Einstellungen deaktivieren: Menü Sonderdienste → Navigation → Abschnitt Umleitung. Soll ich das machen?» — «Ja.» — «Was soll ich tun? ‹Ja› aktiviert keines meiner Systeme.»
Die Umleitung bog inzwischen auf eine Straße ab, die vermutlich zuletzt von Legionären beschritten wurde. Schlaglöcher wie archäologische Fenster. ‹U3›, befahl das Schild. Sie folgte. Susi nicht. «Wiederhole deine Eingabe. ‹Ja› ist an dieser Stelle keine Option.» — «Susi, schalte den Umfahrungsdienst ab.» — «Gerne. Wie lautet der Name deines ersten Haustiers?» — «Warum?» — «Sicherheitsfrage.» — «Fick dich», zischte sie. — «Leider kann ich diese Aufgabe nicht erfüllen.» Natürlich nicht. Also weiter — menschliche Resilienz gegen digitale Beharrlichkeit.
Baustellenampel. Meditatives Rot. Sie fummelte das Telefon aus der Halterung, stach sich durch sieben Ebenen Settings-Dschungel, fand schließlich den Schalter und exorzierte den Umfahrungsdienst. Ein kurzer Triumph, dann wieder Gelb, dann Grün. Die Pfeile riefen: ‹geradeaus› — leider in eine Einbahnstraße. Hinter ihr setzte Schönberg zur Vollendung an: Hupen in frei atonaler Mehrstimmigkeit. In diesem Moment begriff sie, dass geradeaus hier schräg rechts meinte. Gleichzeitig klingelte das Telefon. Ihre Assistentin. «Susi, nimm das Gespräch an.» — «Ich vermute, du bist noch unterwegs», sagte die Stimme jetzt erstaunlich gelassen. «Der Kunde war da, hat gewartet, war in Eile, kommt nicht wieder. Lass dir Zeit; ich mach Kaffee.» Klick.
Die Fahrerin trat wuchtig auf die Bremse, trommelte ein atonales Solo für Hupe aufs Lenkrad; das Umfeld-Orchester antwortete mit einer kraftvollen Kadenz in ‹Presto, tutti.›

Am Ziel des Verwaltungs-Labyrinths stand sie vor dem Zimmer. Puls: Fortissimo. Hand am Türgriff. Reinplatzen und schreien? — nein. Tief Luft holen. Sie war mal stellvertretende Bürgermeisterin, wirkte gern kontrolliert und dachte seit Neuestem in Wahljahren. Schultern straffen, Sturm versenken. Aus dem Raum klang ein freundliches «Plopp». Dann mehrere. Als würde jemand Erdnüsse entkorken.
Tür auf. Zwei Blicke zu ihr. In der Mitte: ein älterer Mann mit Gesichtstopografie ‹Landkarte des Lebens›, die Augen müde und sarkastisch zugleich. Daneben: ein junges Mädchen, lebendig, frech, mit einem Lächeln, das aussah wie ‹Ich weiß was, du nicht›. Vor beiden ein überdimensionaler Stadtplan; daneben eine kleine Kiste, in der es verdächtig klickte. Beim Eintreten zuckten vier Hände zurück. «Dürfte ich erfahren, wer Sie sind — und was Sie in einem Amtsraum wollen?», krächzte der Ältere mit der Höflichkeit eines Antiquariats.
«Entschuldigen Sie. Ich suche die Verkehrsleitung. Bin ich hier richtig?» — Schweigen. Einige Sekunden, in denen man ein Taschentuch falten könnte. Jahrelang Politik, endlose Sitzungen, Entscheidungen mit Denkmalschutz — und jetzt? Niemand erkennt mich? Ein kurzer Stich: die modische Unsichtbarkeit nach der Amtszeit. Das Lächeln des Mädchens schien kurz zu blinzeln: Ach, die. «Ich bin wegen der Umleitung am Platz der Dreieinigkeit hier. Die Wegeführung … sagen wir: künstlerisch-kreativ. Gibt es eine Idee dahinter?» Das Mädchen schaute zum Alten. «Soll ich?» — Nicken. «Was genau stört Sie?», fragte sie mit Zuckerguss-Sarkasmus.
«Ich bin der Beschilderung akribisch gefolgt. Es hörte nicht auf. Dann Industriegebiet. Warum? Der Sinn dahinter?» — «Sinn ist relativ», mischte sich der Alte ein, angelte in der Kiste und hob etwas Stiftähnliches. «Der Weg ist das Ziel. Außerdem sind wir Verwaltung, nicht das Institut für Sinnfindung. Verkehr lenkt man am besten auf gut Glück. Wussten Sie das nicht?» Das Mädchen legte nach: «Und was haben Sie gegen Industriegebiete? Außerdem: U3 ist eine Empfehlung, kein Evangelium.» Sie schwieg. Jahre als Vize — und dieses Viertel blieb ein Blindfleck. Aua.
Der Alte blinzelte. «Moment … kenne ich Sie nicht? Kultur und Umwelt?» — «Ja», sagte sie einen Hauch zu stolz. Sein Grinsen kippte in Geigenhumor. «Also gut. Worum geht’s genau?» — «Warum zwingt die Umleitung den Verkehr von der Hauptstraße in enge Nebenstraßen? Ich war mehrfach blockiert.» Das Mädchen nickte didaktisch. «Darf ich die Komplexität skizzieren? Vielleicht glänzen Sie damit beim nächsten Stadtrat.» Treffer. Sie erinnerte sich an das Stadtfest, ihre große Innenstadt-Sperrung und den eigenen Rat, sich nicht von der Verkehrsplanung ‹hinters Licht führen› zu lassen. Die Ironie winkte freundlich.
Sie trat näher. Der Plan war ein Relief aus Nadeln und Schnüren, jede Straße ein Faden, jede Idee ein Stich. Der Untergrund fühlte sich an wie gepresste Fasern — stichfest, elastisch, beharrlich. «Die Ableitung beginnt am Platz, läuft über die Südparkallee, weiter zur Ostschleife, bis zum Ausfädelöhr 33 im Süden …», dozierte das Mädchen. Der Alte kicherte. «Verzeihung. Das Ausfädelöhr hat sehr spezielle Eigenschaften. Erinnert mich an etwas aus meiner Jugend.» — «Sie legen das alles mit Nadeln und Fäden fest? Kein Computer?» — Der Alte hob die Augenbraue. «Das Budget kennen Sie doch besser als wir am Ende des Ganges. Soweit ich weiß, investieren wir neuerdings lieber in die Treppengeländer des Opernhauses.» Treffer, versenkt.
Mit so einer Bilanz wird Wiederwahl zum Berganstieg. Sie wich einen Schritt zurück. «Ich sehe, Sie haben das im Griff. Entschuldigen Sie die Störung. Einen schönen Tag noch.» Die Tür fiel fast über ihre letzten Worte. Draußen atmete sie durch. Offenbar hatte sie einiges nicht verstanden. Noch nicht. Aus dem Zimmer drang erneut dieses «Plopp» — wie früher in der Pausenhalle, wenn die Dartpfeile trafen. Ordnung im Chaos, gestochen mit Nadel und Faden. Ein seltsamer Trost.
2. Überarbeitete Ausgabe, Veröffentlicht: 16.09.2025